Ausstellung

Coming From Afar

Goekhan Erdogan & Gabriel Stoian

09. 07. - 07. 08. 2021

Eine männliche Gestalt läuft allein eine einsame Straße entlang. Kein Auto kommt ihr entgegen, keine Menschenseele weit und breit. Wir sehen die Person nur von hinten. Sie kommt von weit her. Sie ist nackt.

Wohin ist sie unterwegs? Warum ist sie unbekleidet? Wie kam es zu dieser Situation? In Betrachtung der Arbeit „What a guy“ (2021) kommen einem augenblicklich vielfältige Gedanken, die versuchen, die Szene zu beschreiben und zu erklären - eine eigene Welt macht sich auf, eine Erzählung spinnt sich in unseren Köpfen.

Gabriel Stoian erzählt mit seiner Malerei Geschichten. Geschichten, die er teils selber gar nicht kennt aber irgendwo hinten in seinem Kopf findet. Aus seinem Erfahrungsschatz, seinem Alltag, seiner Imagination und Vorstellungskraft verweben sich einzelne Teile zu neuen Zusammenhängen, die er in seinen Arbeiten umsetzt. Die Serie „Visiting the back of my head“ (Öl auf Leinwand, 2020/21), die in der Ausstellung „Coming from afar“ (9.7. - 7.8.2021) im Kunstraum Fünfzigzwanzig in Salzburg zu sehen ist, vermittelt eine ganz eigene Stimmung. Still, ein bisschen düster, einsam. Die Themen, die hier verhandelt werden, sind die großen unserer Welt: Lust, Eifersucht, Reue … Nachdenklich, fast verzweifelt wirkt die Person auf der „Fainting couch“ (2021). Irgendwie bedrohlich leuchtet der Schriftzug des „Marriott“ durch die dunkle Nacht („She is staying at the Marriott“, 2021). „Wie das Auge des Sauron“ beschreibt es denn auch der Künstler und erzählt, dass er diesen Aspekt aus seinem täglichen Leben gegriffen hat: Die Leuchtschrift scheint am Abend in sein Zimmer herein und verfolgt ihn in der Nacht.

Ortskundige können noch in einem zweiten Bild („A humble depiction of Portikus“, 2021) sofort einen Zusammenhang zu dem Leben des Künstlers herstellen: Unverkennbar ist das rote Gebäude mit dem spitzen Dach - der Portikus - ins Bild gesetzt, ein heimliches Wahrzeichen Frankfurts. Und so verbinden sich die Fäden in unseren Köpfen. Im Gang von Bild zu Bild stellen wir Zusammenhänge her, spinnen die Geschichten weiter, versuchen die eine Person auf dem nächsten Bild wiederzuerkennen. Es scheint, Gabriel Stoian hat hier einen Bilderzyklus geschaffen, der eine fortlaufende Dramaturgie enthält - sie zu erfassen ist jede*r selbst aufgefordert.

So unterschiedlich die dargestellten Szenen sind, so sehr variieren sie auch in ihrer Malweise. Mal detailliert und scharf, mal nebulös fordern sie die Betrachtenden heraus, die nie wissen, worauf sie hinter der nächsten Wand stoßen werden. Als kleine Fragmente einer größeren Erzählung steht jedes Bild auch für sich. Die Szenen sind teils frei erfunden teils akkurate Darstellungen der Realität. Klar wird, dass viele der Themen sehr persönlich sind, auch wenn die Deutung niemals eindeutig ist. Der Künstler lasst uns rätselnd zurück. Er macht sich frei von unserem Wissensdrang, entledigt sich der Erwartungen, die wir an ihn stellen und entblößt sich doch ganz und gar - wie der nackte Mann, den wir in seinem Bild „What a guy“ sehen. So werden die Malereien zu sehr intimen, erzählerischen Offenbarungen, die eine große Ausstrahlungskraft haben.

Den Bildern von Gabriel Stoian stehen die kühlen, schroffen Skulpturen von Goekhan Erdogan wie Fremdkörper gegenüber. Die Gebilde variieren in ihren Formen, ihrer Textur und Musterung. Mal wild geschwungen, mal beinahe aufrecht, stehen sie auf den immer gleichen Plastikeimern, die in sich ebenfalls schon einen Arbeitsschritt verkörpern. Man erkennt, hier steckt harte körperliche Arbeit drin. Ein Prozess, der über Monate fortgeführt wird, bis zu dem Ergebnis, das wir vor uns sehen. Schicht um Schicht Papier wird übereinander gelegt, gepresst und geklebt. Die daraus entstandenen Platten werden wieder übereinander geschichtet, jedoch nicht deckungsgleich. Die Variationen der Stapelungen ergeben die unterschiedlichen Formen der Skulpturen, die Dellen und Schwünge der Gebilde. Und doch scheinen die Oberflächen seltsam samtig. Mit Fräse, Winkelschleifer und Sandpapier bearbeitet der Künstler die Objekte und schafft dadurch den Eindruck polierten Steins.

Von oben blickt uns das immer gleiche Gesicht entgegen. Starr und ausdruckslos füllt der Kopf die komplette Fläche aus. Es ist ein Bild, wie es jede*r von uns kennt und mit sich herumträgt - das eigene Abbild biometrisch vermessen und behördlich abgesegnet: ein Passfoto. Bei dem Abbild, das uns hier vielfach entgegenschaut, handelt es sich um das Foto des Künstlers. Sein eigenes Konterfeit nutzt er für seine Skulpturen und setzt sich damit auf eine Art ständig mit sich selbst auseinander.

Diese Praxis hat Goekhan Erdogan bereits im Studium entwickelt. Als Studierender der Malerei an der Frankfurter Städelschule fand er wenig Inspiration für einen malerischen Zugang zur Welt. Er suchte etwas Eigenes und wandte sich schließlich dem Gegenstand zu, den er fast unbemerkt immer zur Hand hatte: seinem Ausweis mit dem Foto von sich selbst. Das Bild nahm er zur Vorlage, scannte, collagierte, vervielfältigte es und blieb schließlich dabei. Es ist eine Konstante in seinem Leben und seiner Arbeit, eine existenzielle Angelegenheit. Und doch gelingt es ihm, mit der gleichen Sache immer wieder Neues zu schaffen. Kein Objekt ist wie das andere, das Ergebnis überrascht jedes Mal.

Überraschend ist auch, dass die Skulpturen keineswegs so massiv und schwer sind, wie sie wirken. Tatsächlich sind sie erstaunlich leicht und in der Mitte hohl. Praktische Gründe nennt der Künstler dafür - man muss sie auch noch transportieren können -, gleichzeitig ist es Teil seiner Praxis auch die scheinbaren Abfallprodukte wiederzuverwerten. Aus dem Innenleben der Skulpturen entstehen neue Werke. Auch die abgeschnittenen Rahmen der Blöcke ergeben eine eigene Arbeit; die Plastikeimer enthielten ursprünglich den Kleber, mit dem die Papiere verklebt sind.

Die vielen Arbeitsschritte fügen sich zu einem harmonischen Ganzen. Es ist ein langer Weg, den Goekhan Erdogan in seiner Arbeit geht. Viele, langwierige Prozesse braucht es bis zu einem fertigen Werk. Eine permanente Auseinandersetzung mit der eigenen Geduld, der eigenen Kraft und dem eigenen Ich.

So finden die beiden künstlerischen Positionen von Gabriel Stoian und Goekhan Erdogan am Ende doch zusammen, in den Schritten, die sie machen im Umgang mit ihren eigenen Erfahrungen. Der eine wählt eine narrative Lösung, der andere eine formale, zur Rekonstruktion der eigenen Identität. Jeder geht seinen Weg und schaut dabei interessiert auf die Lösung des anderen. Sie ergänzen sich mehr als dass sie miteinander konkurrieren, was auch von der gegenseitigen Sympathie herrührt, die sie füreinander empfinden. Die beiden Künstler kennen sich gut und haben schon öfter zusammen ausgestellt. Die Arbeitsweise des anderen ist dabei stets etwas, dass sie erstreben aber selber nicht umzusetzen wissen. So bleiben die Werke des einen synthetisch und auf den Prozess reduziert, während der andere durch die Kunstgeschichte und Imagination wandert und versucht, alles zu einem Puzzle zusammenzusetzen. Es ist ein Zusammentreffen von zwei Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, unterschiedlichen Ansätzen - two people coming from afar.

Text: Rebecca Herlemann

Gabriel Stoian (*1985, Braila /RO) lebt und arbeitet als Künstler und freier Kurator in Frankfurt am Main (DE). Er ist Mitbegründer des NEW NOW Art Space in Frankfurt (DE) und studierte Malerei an der Universität für Kunst und Design in Cluj-Napoca (RO).

Goekhan Erdogan (*1978, Frankfurt am Main) lebt und arbeitet als Künstler in Frankfurt am Main (DE). Nach mehreren Anläufen beschließt er Kunst zu studieren und diplomiert 2012 mit Auszeichnung an der HFG Offenbach. Seit 2009 ist er regelmäßig in Ausstellungen im In- und Ausland vertreten.

Rebecca Herlemann studierte Kunstgeschichte an der Albert-Ludwigs- Universität in Freiburg im Breisgau und an der Universität Leipzig. Sie schreibt regelmäßig Texte und Artikel zu Ausstellungen und war an verschiedenen freien Projekten beteiligt. Seit April 2021 ist sie als freie Mitarbeiterin und Juniorkuratorin am Museum Folkwang Essen tätig.