Ausstellung

Floating Landscapes

Marco Döttlinger, Andrés Ramírez Gaviria, Miriam Hamann, Enar de Dios Rodríguez, Peter Schreiner, Anna Stadler/Lukas Gwechenberger, Johannes Ziegler.

25. 02. - 29. 04. 2022

Der Begriff der Landschaft soll uns in der Ausstellung „Floating Landscapes“ als Metapher für Schichtungen und Überlagerungen von Zeitlichkeiten dienen. Die daraus entstehenden Formen, seien es geologische oder kulturelle, werden von inneren und äußeren Kräften in ständige Bewegung versetzt, beherbergen also Verdichtungen und Einschreibungen von nur relativer Beständigkeit. Landschaft als ein solches Raumdispositiv zu diskutieren – welches Zugehörigkeiten, Identitäten und Politiken herstellt – ermöglicht es, den Begriff als Gefüge von sozio-ökonomischen Zusammenhängen zu verstehen und einem Verständnis von Landschaft als Projektionsfläche für Sehnsüchte und verklärte Erinnerungen entgegenzutreten.

Eines von Stefan Zweigs bekanntesten Werken ist die Sammlung historischer Momentaufnahmen, die er 1927 unter dem Titel „Sternstunden der Menschheit“ verfasst hatte. Im 5. Kapitel „Das Erste Wort über den Ozean“ beschreibt Zweig die drastischen Veränderungen des 19. Jahrhundert anhand eines gigantischen Projektes: der Verlegung des transatlantischen Seekabels. Nach mehrmaligem Scheitern gelang es einem Großindustriellen namens Cyrus W. Field im Jahr 1866 ein 5100 Kilometer langes Tiefseekabel für die Telegraphenverbindung über den Atlantik zu legen, um Amerika und Europa miteinander zu verbinden. Dieses Vorhaben knüpfte an die Erfindung des elektrischen Telegrafen an, welchen Samuel Morse zuvor mitsamt des Morsecodes erbaut bzw. erdacht hatte. Das Tiefseekabel verband bald alle Kontinente und Länder miteinander und kann folglich als erstes globales Kommunikationsnetz der Welt verstanden werden. Mittlerweile prägen hunderte Nachrichten-, Drehstrom- und Gleichstromkabeln die maritime Unterwasserlandschaft. Pläne von Google und Facebook, mittels eines 37.000 km langen Unterwasserglasfaserkabel weitere Teile der Welt zu verbinden, um eine schnellere Internetverbindung zu ermöglichen, folgen bereits. Besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es durch den schnellen Fortschritt und neue wissenschaftliche Errungenschaften wichtig, Standardisierungsprozesse einzuführen, um diese globale Vernetzung voranzutreiben. So wurde nicht nur das Längenmaß von einem Meter festgelegt, der Morsecode mit dem Morsealphabet ersetzt und standardisiert, sondern u.a. auch die Frequenz des elektrischen Stroms vereinheitlicht. Da es durch die unterschiedlichen Frequenzen des Wechselstroms zu Problemen bei der Anschaffung von elektrischen Geräten führte, einigte man sich bspw. für Europa auf eine Netzfrequenz von 50 Hz (in Nordamerika sind es 60Hz).
Das 19. Jahrhundert brachte neue geopolitische Akteure hervor, die am Wettlauf um die koloniale Aufteilung Afrikas beteiligt sein wollten. Besonders interessiert war man an den Rohstoffreserven des Landes. Bis zum ersten Weltkrieg erweiterten die europäischen Mächte ihren Kolonialbesitz um mehr als 23 Millionen km2. Doch es ging den Kolonialherren nicht nur um die Ausbeutung der rohstoffhaltigen Erde mitsamt ihrer Einwohner*innen, sondern auch um die Vormachtstellung auf See. Besonders perfide entwickelte sich das Seerecht ab der Mitte des 20. Jahrhunderts weiter, als man aufgrund neuer geologischer Erkenntnisse, den Festlandsockel als untermeerische Fortsetzung zum staatlichen Landterritorium anerkannte, und somit die Neokolonisierung der Meere ermöglichte. Aufgrund dieser neuen Abkommen gehören sämtliche mineralische Rohstoffe, die sich am und unter dem Meeresgrund und in einer Festlandsockel-Außengrenze von bis zu 200 Seemeilen befinden, dem dazugehörigen Festland. Inzwischen werden auch diese Grenzen nicht mehr eingehalten und oft unter dem Vorwand neuer Forschung für eigene politische Ansprüche erweitert. Da der Meeresboden beinahe 70 Prozent der gesamten Erdoberfläche einnimmt, schätzt man die Vorkommnisse von Mangan, Kupfer, Nickel und Kobalt auf mehrere hundert Milliarden Tonnen – ein Bestand, der den Bedarf für die nächsten hunderttausend Jahre abdecken könnte. Auch wenn bereits rechtliche Schritte zu einer „gerechten“ Umverteilung dieser Ressourcen gesetzt wurden, steht außer Frage, dass die kapitalistischen Zentren, ihren Zugang zum Meer nicht gerne teilen werden. Die neuen und alten global player, haben sich mittlerweile zu Besitzern der Natur erklärt; sie spitzen jene im Kapitalismus normalisierte Eigentumsmentalität zu, „für die der Erdball einen Prospekt von Angeboten darstellt“ (Hartmut Böhme, 2018).

Die im 19. Jahrhundert einsetzenden industriellen und wissenschaftlichen Innovationen bahnten den Weg zu einer globalen Ökonomie der Ausbeutung. Die unzähligen Ereignisse, Entscheidungen und Weichenstellungen, die diesen Prozess seither begleiten und kennzeichnen, sind in den bewegten Sedimentschichten globaler – diskursiver wie materieller – Landschaften eingeschrieben. Sie wurden und werden zu Knoten und Verdichtungen und Leitplanken einer historischen Wissensproduktion, die Ungleichheit normalisiert und Unmittelbarkeit herstellt. Solche Einschreibungen können aber auch freigelegt, befragt und für eine Erinnerungskultur der Gegenwart aktiviert werden. „Floating Landscapes“ besteht dabei auf eine nichtlineare Beweglichkeit, ein Verständnis also, worin das historische Ereignis als narrative Ressource für einen immer wieder neu zu überarbeitenden Erinnerungskatalog aktiviert und reflektiert wird, in dem die Gegenwart stets als ein Ineinanderfließen von Vergangenheit und Zukunft figuriert.

Text Karolina Radenkovic