Foto: Studio Fjeld
Die ukrainischen Filmabende finden vom 3. - 4. Mai in den Räumlichkeiten der Fünfzigzwanzig in Salzburg statt. Die ausgewählten Filme haben sich zum erklärten Ziel gesetzt, das Bewusstsein für die reiche und vielfältige Filmtradition der Ukraine in Österreich zu schärfen. Dabei wird eine sorgfältige Auswahl und Präsentation verbotener Klassiker des ukrainischen Kinos in den Mittelpunkt gerückt, Filme, die trotz Widerständen und politischer Restriktionen geschaffen wurden. Diese Filme bieten nicht nur einen Einblick in die künstlerische Widerstandsfähigkeit ukrainischer Filmschaffender, sondern auch eine Gelegenheit, die historischen Herausforderungen, denen sie gegenüberstanden, zu verstehen. Die historische Perspektive verdeutlicht, dass das ukrainische Kino lange Zeit im Schatten des russischen Kinos stand. Ukrainsche Regisseur:innen sahen sich in der Sowjetunion mit Filmverboten konfrontiert, die in einigen Fällen drastische Konsequenzen wie Gefängnisstrafen nach sich zogen, wie im tragischen Fall von Sergij Paradschanow, oder zu langjährigem Verbot der künstlerischen Schaffensfreiheit führten, wie es Kira Muratova widerfuhr.
Die Veranstaltung strebt danach, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart des ukrainischen Films zu schlagen. Die Präsentation von verbotenen Klassikern und zeitgenössischen Werken ermöglicht dem Publikum, die künstlerische Entwicklung und die kulturelle Resilienz des ukrainischen Kinos zu verfolgen. Diese Brücke schafft einen Raum für Reflexion über die Kontinuität der filmischen Tradition und die Verbindung zwischen verschiedenen Entwicklungsphasen des ukrainischen Films. Das Publikum wird eingeladen, in die facettenreiche Welt des ukrainischen Kinos einzutauchen und dabei nicht nur die filmische Vielfalt, sondern auch die kulturelle und gesellschaftliche Relevanz dieser Werke zu entdecken. Wir hoffen, dass das Ukrainische Filmfestival in Österreich dazu beitragen kann, das Interesse und die Anerkennung für das ukrainische Kino zu steigern.
Freitag, 03.05.24
Die Filme von Maryna Vroda, Philip Sotnychenko, Oleksiy Radynski, Jevgen Syvokin und Stepan Koval geben Einblicke in Stil- und Themenvielfalt des zeitgenössischen ukrainischen Films.
18h
Einleitende Worte der Kuratorin Ielizaveta Oliinyk
18.30h
Maryna Vroda: Geländelauf (2011, 15 min.)
Geländelauf von Maryna Vroda, ein Kurzfilm aus dem Jahr 2011, präsentiert eine scheinbar einfache, doch tiefgreifende Erzählung über die Freiheit des Laufens und die verschiedenen Facetten dieser Handlung. Die Geschichte beginnt damit, dass ein Junge zum Laufen gezwungen wird. Diese anfängliche Zwangssituation wird in der Fortsetzung des Films umgewandelt, als der Junge aus freien Stücken zu laufen beginnt. In einer weiteren Wendung wird der Fokus auf einen anderen Jungen gerichtet, der beim Laufen beobachtet wird. Diese scheinbar banalen Handlungen gewinnen durch die Inszenierung und die subtile Erzählweise von Maryna Vroda eine tiefe Bedeutung.
Maryna Vroda erhielt für Geländelauf die Goldene Palme für den besten Film beim Internationalen Filmfestival von Cannes 2011.
Philip Sotnychenko: Technische Pause (2017, 29 min.)
Technische Pause von Philip Sotnychenko wirft einen eindringlichen Blick auf das alltägliche Leben und die unausgesprochenen Dramen, die sich vor unseren Augen abspielen. Der Film entfaltet sich während einer technischen Pause in einem Supermarkt und zeigt, wie sich das Leben der Kassiererin in dieser vermeintlich unspektakulären Situation dramatisch verändert.
Die Handlung nimmt unerwartete Wendungen, als die Kassiererin, die ihre Schwangerschaft verheimlicht, einen weiteren Diebstahl in ihrem eigenen Supermarkt begeht. Die gestohlenen Waren verkauft sie auf dem Markt, während sie gleichzeitig ihre Hoffnungen auf Mutterschaft zu verlieren scheint. Trotz dieser komplexen und intensiven Ereignisse kehrt sie nach dieser erlebnisreichen Pause an ihren Arbeitsplatz zurück.
Die Wahl, eine technische Pause als Kulisse für das Geschehen zu verwenden, verleiht dem Film eine surreale und gleichzeitig realistische Atmosphäre. Die filmische Darstellung von unausgesprochenen Emotionen und geheimen Handlungen macht Technische Pause zu einer fesselnden Erzählung über das Verborgene im scheinbar Alltäglichen.
Der Film gewann im nationalen Wettbewerb Sleepwalkers (PÖFF Shorts) am Filmfestival Black Nights in Tallinn.
19.15h
Die Zeichentrickfilmsession beginnt mit zwei Werken von Evgen Syvokin, einem der bedeutendsten ukrainischen Animationsregisseure. Vorsicht! Nerven! (1975, 7 min.) und Schnee wird die Straßen bedecken (2004, 7 min.) laden das Publikum ein, in Syvokins einzigartige animierte Welten einzutauchen. Diese Filme, die die Fähigkeit haben, in kürzester Zeit fesselnde Geschichten zu erzählen, sind Meisterwerke des animierten Ausdrucks.
Im Anschluss wird der Animationsfilm Straßenbahn Nr. 9 fährt (2002, 10 min.) von Stepan Koval präsentiert, einem Schüler von Evgen Syvokin. Dieser Film erhielt den Silbernen Bären bei der Berlinale 2003.
19.40h - 20.00h Pause
20.00h
Oleksiy Radynski: Infinity According to Florian (2022, 70 min)
Was ist die Erde? Was ist das Sonnensystem? Was ist die Menschheit? Wer ist Florian Jurjew? Warum hat er die fliegende Untertasse in Kyiv gebaut? Werden wir sie in Zukunft für den vorgesehenen Zweck nutzen können? Infinity According to Florian sucht nach Antworten auf diese und andere Fragen im Zusammenhang mit dem legendären Kyiver Architekten Florian Jurjew. Der Film erzählt uns auch, warum der Weg des Kapitalismus ein Irrweg ist und was passiert, wenn man eins durch unendlich teilt.
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Samstag, 04.05.24
**17h
Vortrag „Ex-Centric visions in cinema of Kira Muratova and Sergei Parajanov“
der ukrainischen Kulturwissenschaftlerin Olha Briukhovetska. Der Vortrag wird auf Englisch abgehalten.
18.00h - 18.15h Pause
18.15h
Sergei Parajanov, Schatten vergessener Ahnen (1964, 98 min.)
Schatten vergessener Ahnen von Sergei Parajanov zählt zweifelsohne zu den faszinierendsten Werken in der Geschichte des ukrainischen Kinos. Dieser Film markiert nicht nur den Höhepunkt des Schaffens von Parajanov, sondern begründet auch die sogenannte Schule des Ukrainischen poetischen Kinos. Die Handlung des Films entfaltet sich als eine kraftvolle Interpretation der ukrainischen Version von Romeo und Julia, und durch seine einzigartige künstlerische Vision wird er zu einem Meisterwerk, das die Grenzen des konventionellen Erzählens überschreitet.
Die Premiere von Schatten vergessener Ahnen am 4. September 1965 im Ukraina-Kino in Kyiv war nicht nur ein kulturelles Ereignis, sondern auch ein historischer Akt des Widerstands gegen die Politik der sowjetischen Regierung. Diese Premiere wird als die erste öffentliche Aktion in der UdSSR gegen Verhaftungen von ukrainischen Kulturschaffenden vermerkt. Die Teilnehmer drückten damit ihren Widerspruch gegen die Repressionen aus und machten auf die Unterdrückung von Kreativität und freier Meinungsäußerung aufmerksam.
Trotz seiner internationalen Anerkennung wurde Schatten vergessener Ahnen direkt nach der Premiere bis fast zum Ende der 1980er Jahre in der Sowjetunion verboten. Parajanov selbst wurde mehrmals inhaftiert und unterlag einem harten Zensurregime. Dennoch überlebte sein Werk und setzte einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung des ukrainischen Kinos. Die beeindruckende Liste von Auszeichnungen, die Schatten vergessener Ahnen erhielt, spiegelt die universelle Anerkennung wider, die dem Film zuteilwurde. Mit 28 internationalen Preisen, darunter 24 Grand Prix auf verschiedenen Festivals, erreichte der Film eine unübertroffene Wertschätzung. Diese beeindruckende Anzahl von Auszeichnungen führte sogar dazu, dass der Film einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde erhielt, was seine herausragende künstlerische Leistung unterstreicht.
Schatten vergessener Ahnen bleibt nicht nur ein herausragendes Beispiel für das ukrainische Kino, sondern auch ein Symbol des kreativen Widerstands und der künstlerischen Integrität in Zeiten politischer Repression. „Ich bin ein Armenier, der in Tiflis geboren wurde und in Russland wegen ukrainischen Nationalismus inhaftiert war“ - Sergei Parajanov.
20.00h – 20.15h Pause
20.15h
Kira Muratova, Kurze Begegnungen (1967, 96 min)
Kurze Begegnungen von Kira Muratova ist ein Debütfilm der talentierten ukrainischen Regisseurin, die auch die Hauptrolle in diesem spielt. In dem Film zeigen sich bereits für ihren Stil typische Elemente wie die Theatralik der Dialoge, nichtlinear montierte Episoden, sowie seltsame Beziehungen zwischen den Protagonist:innen. Obwohl den Film über 4,4 Millionen Zuschauer:innen gesehen haben, wurde der Film eingestellt. Erst im Jahr 1987 wurde der Film erneut veröffentlicht.
_Kira Muratova_, eine herausragende Filmregisseurin, zeichnete sich in einer Zeit des aggressiven Kollektivismus und der Zensur als Verfechterin der menschlichen Persönlichkeit aus. Ihr Wirken stand im klaren Kontrast zur sowjetischen Kunstauffassung jener Ära, die von rigider Kontrolle und ideologischer Gleichschaltung geprägt war. Muratova setzte sich vehement für das Recht auf individuelle Reaktionen, lebendige Gefühle und unkonventionelle Gedanken ein, Werte, die in einem Umfeld politischer Restriktionen und opportunistischer Einflussnahme auf künstlerische Schöpfungen ungewöhnlich waren.
In einer Zeit, in der der sowjetische Staat auf ideologische Konformität und kollektive Werte drängte, wagte Muratova, ihre künstlerische Vision zu leben und dabei die Persönlichkeit jedes Individuums zu betonen. Ihr Werk wurde jedoch nicht nur von der politischen Zensur herausgefordert, sondern passte auch nicht in die vorgefertigten "Prokrustes-Kisten" opportunistischer Strömungen. Muratova widersetzte sich dem Druck, ihre kreative Freiheit zugunsten politischer oder gesellschaftlicher Erwartungen zu opfern.
Ihre Filme waren oft von einer tiefen psychologischen Durchdringung und einem experimentellen Ansatz geprägt, der die Konventionen des sowjetischen Kinos sprengte. Diese rebellische Haltung und ihre kompromisslose Verfolgung individueller künstlerischer Ausdrucksformen machten Muratova zu einer Pionierin und Symbolfigur des Widerstands gegen künstlerische Unterdrückung.
22.00h DJ Set triggered by noise
Foto: Studio Fjeld
Foto: 5020
Sergei Parajanov, Schatten vergessener Ahnen (1964)
Foto: 5020
Olha Briukhovetska
Foto: 5020
Foto: Studio Fjeld