Lesung: Katja Huber (Zündfunk/Bayern2Radio, München)
"Fernwärme" (Kircheim Verlag, 2005)
„Fernwärme“ beginnt mit der Wiederbegegnung von Großvater und Großmutter in Ostberlin nach dem Krieg und springt nach einigen Seiten in die Gegenwart der in München lebenden Protagonistin Anna. Perspektiven und ErzählerInnen wechseln das ganze Buch hindurch immer wieder: Von Russland nach Deutschland, von Berlin (Ost) nach Moskau, von der jungen Frau zum Mädchen von der großen Politik zu den auch nicht gerade kleinen Liebeswirren, von München nach Wolgograd. Am Morgen ihres Geburtstags wird Anna von Igor, einem ihr bis dahin unbekannten Cousin, geweckt. Seine sonderbare Art irritiert sie, seine Hartnäckigkeit fasziniert sie, und am Abend will Anna keinen anderen als Igor um sich haben. Wie schon ihr Großvater erlebt Anna die Faszination und Befremdlichkeiten der Begegnung mit einer anderen Kultur – der Kultur Russlands. Wobei Anna schon längst ahnt, dass ihn während seiner neun Jahre in Russland, dort mehr band als nur "die Partei".
So geht es auch um verpasste Chancen, um schicksalhafte Treffen, um Lebensvorstellungen und Liebesverstrickungen zwischen der tristen russischen Provinz von Astrachan, der ehemaligen DDR und dem München von heute. Kurz: Um das Politische im Privaten und das Private des Politischen. Beides so unentwirrbar miteinander verwuselt wie die komplex-verwobenen Beziehungsgeflechte der einzelnen ProtagonistInnen des Romans, was sich nicht zuletzt in einer faszinierend-vielschichtigen Sprache niederschlägt und spiegelt, wegen der man den verzweigten Pfaden des Romans nur umso gespannter folgt. Das dabei eine spezifische Art lakonischen Humors und ein sprachlicher Schalk im Nacken Sprache nicht zu kurz kommt, liegt dabei ebenso an den oftmals banalen bis peinlichen Umständen gescheiterter Vorhaben wie an Katja Hubers exzellenter Sprachbeherrschung.
Pressestimmen
“’Fernwärme’! Was für ein Titel für ein Buch. Unweigerlich drängt sich da doch das Bild von einer Heizung auf. Doch davon will Autorin Katja Huber selbstverständlich nicht erzählen. Sondern um den mal warmen und mal kalten Austausch zwischen den Deutschen und den Russen, und das alles auch noch zwischen zwei Generationen.“ (TAZ, 29.9.05)
"’Fernwärme’ wirft einen bescheiden klugen Blick auf die deutsch-deutsche Geschichte und ist eine märchenhafte und amüsant wirklichkeitsgetreue Fabuliererei über Verständigung - und zwar nicht nur die deutsch-deutsche. (...) Dabei verwundert kaum, freut aber umso mehr, dass der hörfunkerfahrenen Huber gerade das oft unterschätzte Dialogische so schön knapp und verschroben von der Hand geht. So schmal, so gut, das ist ‚Fernwärme’". (Berliner Zeitung, 5.11.2005).
Katja Huber geb. 1971, studierte Slawische Philologie und Politische Wissenschaften in München. Seit 1996 Hörfunkarbeit beim Bayerischen Rundfunk, seit 1999 hauptberuflich beim BR-Zündfunk (Wöchentliche Kolumne „Lost Weekend“) mit zahlreichen journalistischen und literarischen Beiträgen. Veröffentlichungen: Hörspiele (Das Ticken des Vaters/Radio Bremen 2001, Hechtzeit/BR 2002, Wir allein/SWR 2003, Melonen/BR 2004, Der amerikanische Wels/Mega eins Verlag 2004), Erzählungen in Anthologien.